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Prof. Dr. Gerburg Treusch-Dieter und Prof. Dr. Holger Baumgartner

„Menschenbilder – Was machen sie mit ihren Genen? ... Gentechnologie und Vererbungslehre, Auswirkungen auf das individuelle und gesellschaftliche Menschenbild"

Am 20.2.2002 im Hörsaal der Sozialakademie in Innsbruck

Beide widmen sich ausgiebig den Themen: Eugenik, gibt es einen neuen Übermenschen?, Ethik in der Medizin oder wer bestimmt den Kurs?, Der Wissenschafter als gottgleicher Schöpfer?, Das Labor als Supermarkt?, Lebt die Medizin unter dem Diktat der Pharmaindustrie?

Prof. Baumgartner berichtet über die Ursprünge der Ethikkomissionen. Die Propaganda in der Nazizeit baute auf Sozialdarwinismus auf, entstanden in einer Zeit des großen Aufbruchs in der Medizin. Das 19./20. Jahrhundert war die Zeit großer Erfindungen und der Entdeckungen von Ursachen vieler Erkrankungen. Es bestehen viele Paralellen zwischen der damaligen Aufbruchstimmung in der Medizin und dem heutigen Eifer und Tatendrang. In der NS-Zeit wurden soziale, gesunde, glückliche Menschen als Ideal propagiert. In Nazi-Schulbücher wurden die Kosten von Erbranken hochgerechnet (z.B.:“...für das Geld das man für Erbkranke /Jahr ausgibt (incl. Taubstumme,...) könnte man 70000 Eigenheime bauen...) und es wurde so der Weg zur Vernichtung von unwertem Leben geebnet. Ärzten wurde das Recht des „Gnadentodes“ und der Zwangssterilisation übertragen. Unter dieser verharmlosenden Bezeichnung wurden unzählige Kranke gemordet. Unter dem Eindruck dieser schweren Last der Geschichte, aufgrund einiger fataler Vorkomnisse in der Forschung sowie der Einführung randomisierter Studien wurden zur Kontrolle in der Medizinforschung Ethikkommissionen eingeführt. Zur Zeit gilt für die Arzneimittelerprobungen und andere Forschungsgebiete das EU-Recht. Diese Verordnungen sind jedoch primär Wirtschaftsverordnungen und regeln diese Belange aus dem Blickwinkel der Industrie. Für Patienten und oftmals auch für Ärzte stellen diese hochkomplizierten Rechtsvorschriften einen undurchdringlichen Dschungel an Paragraphen und Produktverordnungen dar. Eine bessere Regelung zum Schutze des Einzelnen wäre die Unterstellung unter das Recht des Europarates und dessen Biomedizinkonvention. Diese Konvention regelt primär die Interessen der Patienten und nicht die der Pharmaindustrie. In Zeiten der in vitro Fertilisation, der Patentierung des Genoms und der Pränataldiagnostik ist ein enormer „Bedarf an Ethik in der Medizin“ entstanden. Für die internationale Regelung dieses boomenden (Wirtschafts-) Zweiges der Medizin wird in Zukunft ein Höchstmaß an Geschick und Einsatz verlangt werden, damit sich nicht ähnliches Unrecht an („unwertem“) Leben wiederholen kann.

In ihrem Vortrag geht Prof. Dr. Treusch-Dieter auf die durch die Entwicklung und Fortschritte der Gentechnologie verursachten gesellschaftlichen Veränderungen und ihre Konsequenzen ein. Ausgangspunkt ihrer Ausführungen mit dem Titel „Gene als Regulativ für menschliches Verhalten“ (mit dem Untertitel: „Die Psychiatrie auf ihrem Weg zur Eroberung des Gehirns“, mit dem sie auf ihre Schlussfolgerung vorgreift) sind Ankündigungen von Wissenschaftlern, die an den Weltkongressen der Biologischen Psychiatrie und der Neurowissenschaften auf zukünftige Veränderungen hinweisen, die sich durch die Chance der Gentechnologie ergeben. Für Treusch-Dieter ist die Psychiatrie eine auf Lebensverwaltung und –behandlung abzielende Institution, die sich zum einen bei der Behandlung auf das Gesetz des Staates bezieht und so auf Verwahrung (des Wahnsinns oder der Wahnsinnigen) abzielt, deren Techniken der Behandlung zum anderen auf die Biologie der Medizin bezogen sind und auf den Fall abzielen, und die nunmehr mit Neurowissenschaften und Genetik einhergeht, während es früher Neurologie und Erbbiologie waren. Ausgehend von der Geschichte der Psychiatrie und ihren inhaltlichen Veränderungen wird das substantiell Besondere an der Einbeziehung des Genoms in die Behandlung definiert, indem es (das Genom) eine genetische Identität des Menschen anspricht, die mit seiner Identität als Subjekt nichts mehr zu tun hat. Die Gefahr besteht, durch genetische Eingriffe in die Persönlichkeit die Entscheidungsfreiheit und damit den freien Willen ihre Existenz betreffend auszuschalten. Dadurch wird die Konstruktion des Menschen verändert oder zerstört. Dabei spielen Wertfragen, die zur Bewertung des Lebenswertes führen, eine entscheidende Rolle, der Schritt zur Bestimmung des Unwerts und seinen Konsequenzen in der Behandlung ist die Folge, die sich aus der institutionellen, sich auf das Gesetz beziehenden Rolle der Psychiatrie ergibt.