Mag. Armin Monsorno
„Zur Genealogie der psychiatrischen Ordnung“
Am 19.09.01 im Psychiatrischen Krankenhaus des Landes Tirol in Hall.
Manuskript zu finden unter "Texte"
Monsorno geht auf den gesellschaftlichen Ausschluss von Personengruppen durch
die Psychiatrie ein. Er beginnt seine Entwicklungsrückschau mit dem 17.
Jahrhundert, dem Zeitalter Descartes`, durch dessen Philosophie der Wahrheit
der Wahnsinn als eine Form des Irrtums ausgeschlossen wird, und mit Hobbes,
für den Wahnsinn der äußerste Punkt der Verfehlung gegen die
Vernunft und die moralische Ordnung darstellt, was seine gesellschaftliche
Entsprechung in der Internierungspraxis mit der Gründung des
Hôspital général in Paris, der Zucht- und
Arbeitshäuser in Deutschland und der workhouses in England findet, die
gemeinsam die Funktion des Ausschlusses der gesellschaftlichen Unvernunft haben
und die Armen, ob krank oder gesund, betrifft.
Mit der Aufklärung und der
französischen Revolution findet eine Veränderung statt, indem
zwischen Geisteskrankheit und Delinquenz unterschieden wird - für
Verbrecher bleibt das Gefängnis, während Geisteskrankheit ein
Ordnungsproblem darstellt, für das Justiz, Polizei, Familie und
schließlich die Psychiatrie als medizinische Disziplin zuständig
erklärt werden. Der Freiheitsbegriff wird für die Gesellschaft ein
immer bedeutenderer, für den der psychisch Kranke einen Störfaktor
darstellt. Selbst- und Fremdgefährdung sind die Begründung für
die Beschneidung der bürgerlichen Rechte.
Die Internierung wird ein
therapeutisches Instrument, die Psychiatrie zum Raum der Wahrheit und der
Heilung. Der Freiheitsbegriff wird aber auch Kampfplatz der emanzipatorischen
Gegenbewegungen, die die Befreiung des psychisch Kranken aus der rechtlichen
und institutionellen Bevormundung einfordern. Mit Kant und Hegel verändert
sich das Verhältnis von Vernunft und Wahnsinn, Wahnsinn wird nicht mehr
als das absolute Gegenteil der Vernunft gesehen und verliert die Kraft des
Fremden, es ändert sich der Status des Irren.
Die Moderne lässt die
Geisteskrankheit transparent erscheinen, im wissenschaftlichen Diskurs wird sie
als Objekt betrachtet. Mit der Unzurechnungsfähigkeit verliert der
psychisch Kranke seinen Subjektstatus, wogegen sich Basaglia mit seinem
Eintreten für eine Vertragsbeziehung als gleichwertige
Arzt-Patient-Beziehung engagiert und für das Ende geschlossener
Institutionen in der Psychiatrie einsetzt.
Mit dem Neoliberalismus der
Gegenwart und dem Markt als regulierendes und organisierendes Prinzip kommt es
zu einer nur scheinbaren Beziehungsveränderung, da der Patient, zwar Kunde
und damit definitionsgemäß Subjekt, weiter Objekt des
wissenschaftlichen Diskurses bleibt und auch Gegenstand der Verrechnung ohne
grundlegende Änderung und Aufwertung der Selbstverantwortung wird. In der
nachfolgenden Diskussion nimmt die Geschichte des institutionellen Ortes der
Veranstaltung einen breiten Raum ein, die die Teilnahme am Ausschlussprozess
– insbesondere zur NS-Zeit – betrifft.
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